Digitalisierung im Mittelstand ist das aktuelle Zukunftsthema.

Was ist Digitalisierung?

Digitalisierung bedeutet, dass einzelne Leistungen, Prozesse oder gesamte Produkte bis hin zum gesamten Unternehmen weitgehend virtuell, also automatisiert gestaltet sind. Dabei sind sowohl die Mitarbeiter im Unternehmen, als auch das gesamte Unternehmen mit Lieferanten und Kunden vernetzt. Eine große Rolle dabei spielen Daten (in der Regel große Mengen davon). Diese Daten werden in der Regel im Unternehmen und mit Externen (z.B. Lieferanten und Kunden) geteilt.

Eine wesentliche Unterscheidung ist, ob es begrenzte Einzellösungen für Digitalisierung gibt, ob das Unternehmen ganzheitlich digitalisiert ist und ob Kunden und Lieferanten in die Digitalisierung einbezogen werden.

Beispiele für begrenzte (Einzel-)Lösungen sind

  • Digitalisierung der Eingangsrechnungen
  • Unternehmens-Wiki
  • Umfassende, automatische  Erstellung von Kennzahlen
  • Dokumentation und Überwachung aller Prozesse.

Solche Digitalisierung hat es schon in der Vergangenheit gegeben. Sie bedeuten deshalb keine tiefgreifenden Veränderungen für das Unternehmen. Ein Einstieg in eine umfassendere Digitalisierung ist so aber sehr gut möglich. So kann schnell eine Erfolgsgeschichte geschrieben werden und die ersten Voraussetzungen für umfangreichere Digitalisierung können damit geschaffen werden.

Beispiele für umfassende Digitalisierung sind

  • Komplett digitale Auftragsabwicklung und -überwachung
  • Prozessüberwachung der Produktion mit Hilfe von künstlicher Intelligenz mit Schnittstellen zu Lieferanten und Kunden
  • Paypal (z.B. mit Sofortüberweisung von Mailadresse zu Mailadresse, Einräumung 14-tägiges Zahlungsziel)
  • Lieferando (Online-Bestellung vom Kunden und beim Restaurant, Nachverfolgung des Lieferstatus inkl. Anzeige des Orts der Lieferung usw.)
  • Online- Kraftfahrtversicherung mit laufender, zeitaktueller Angebots-Tarifberechnung und späterer Nutzung von Telemetrie-Daten und Anpassung der Prämie.

Typisch ist hier, dass die Lösungen komplett neu „gebaut“ werden ggf. als ein eigenes Unternehmen gegründet werden oder in einem Teil eines Unternehmens ein neues Unternehmensmodell aufgebaut wird. Dies ist damit eine tiefgreifende Veränderung.

Zur Charakterisierung von Digitalisierungsvorhaben ist neben dem Grad der Digitalisierung – Einzellösung oder umfassende Lösung – auch die Frage nach dem Umfang – nur unternehmensintern oder Kunden- und Lieferanten-übergreifend hilfreich. Je nach Vorhaben ist dann die Vorgehensweise für das Projekt anzupassen.

Digitalisierung im Mittelstand

Allerdings sind nicht alle Digitalisierungsprojekte erfolgreich. Eine Auswertung aus aktuellen Veröffentlichungen zeigt, welche Gefahren es gibt.

Gefahren für Digitalisierungsprojekte

Eine Auswertung von aktuellen Veröffentlichungen hat eine Reihe von Gefahren für die Digitalisierung Im Mittelstand erbracht. . (In Klammern jeweils der Autor der Veröffentlichung, Details dazu weiter unten).

1. Schlechte Qualität der Lösung

  • Projekte zur Digitalisierung im Mittelstand werden zu groß und für einen zu langen Zeitraum dimensioniert (impulse)
  • Bei der Lösung wird zu wenig beachtet, was außerhalb der eigenen Branche passiert (impulse)
  • Digitale Evolution und Revolution sind nicht ausgeglichen (McKinsey)
  • Die Lösung ist zu wenig am Kunden orientiert (impulse)
  • Die Vernetzung und Kooperation, z.B. mit Lieferanten und Abnehmern ist nicht ausreichend, der Einfluss von Plattformen wird unterschätzt  (Mc Kinsey)
  • Der B2B-Bereich der Vernetzung wird nicht genug beachtet (Mc Kinsey)
  • Es wird eine Lösung für ein nicht vorhandenes Problem geschaffen (impulse)
  • Nur viele kleine statt große Programme aus einem Guss (accenture)

2. Fehlende/ungenaue Strategie für die Digitalisierung im Mittelstand

  • Keine einheitliche Unternehmensstrategie (ERP-Management)
  • Es wird nicht erkannt, dass die Investition in Digitalisierung keinen zusätzlichen Gewinn, bringt, sondern „nur“ das Überleben sichert, weil sie Mehrwerte für die Kunden bringt (McKinsey)
  • Digitalisierung ist nicht genau definiert, und wird unterschätzt (McKinsey)
  • Einzelne erfolgreiche Projekte täuschen darüber hinweg, dass eine Strategie fehlt (accenture)

3. Digitalisierungsfeindliche  Unternehmenskultur und Management-Fehler

  • Management des Unternehmens zu wenig kundenorientiert (ERP-Management)
  • Nach einem ersten Fehlschlag wird – zu früh – aufgegeben (impulse)
  • Digitalisierung löst Sorgen aus und wird zu ungeplant angegangen oder zu spät (impulse)
  • Die Digitalisierung hat zuwenig (Top-)Management-Aufmerksamkeit (impulse, ERP-Management)
  • Unternehmenskultur, digitale Denkweise (ERP-Management)
  • Entscheidern fehlen Digitalkompetenz und Mut (accenture)
  • Arbeitsteilung bremst Digita li sierung aus (accenture)

4. Projektgestaltung

  • Hardware/Software nicht leistungsfähig genug (ERP-Management)
  • Zuwenig übergreifendes Denken, keine interdisziplinären Projektteams (ERP-Management)

Quellen:
MyKinsey: Jacques Bughin, Tanguy Catlin, Martin Hirt, and Paul Willmott, McKinsey Quaterly 01/2018: Why digital strategies fail
ERP-Management: Christian Leyh und Nico Meischner     Erfolgsfaktoren von Digitalisierungsprojekten; ERP Management 14 (2018)
Impulse: Nicole Basel: Die 7 Todsünden der Digitalisierung https://www.impulse.de/management/unternehmensfuehrung/scheitern-digitalisierung/7292649.html?conversion=ads (abger.: 25.10.2020)
Accenture: Patrick Vollmer, Dr. Eberhard Veit Wie deutsche Unternehmen mit der Digitalisierung richtig vorankommen (2019)


Einige der genannten Ursachen gelten nicht nur für die Digitalisierung im Mittelstand, sondern auch für „normale“ Projekte auch. Allerdings gibt es einige Punkte, die besonders beachtet werden müssen. Aber: keine Angst vor Digitalisierung!

Leitlinien für eine erfolgreiche Digitalisierung

1. Digitalisierungsstrategie

Was heißt eigentlich Digitalisierung im Mittelstand: ist es die Automatisierung von Einkaufsprozessen, die automatisierte Fertigung 4.0, das Internet of things, die Nutzung von e-commerce, Cloud-Computing oder der Einsatz von Social Media als Marketing-Instrument, oder alles zusammen?

Notwendig ist eine klare Linie, eine Strategie, die folgende Fragen beantwortet:

  • Welche grundlegenden Veränderungen resultieren aus der Digitalisierung für unsere Branche und unser Unternehmen?
  • Wo stehen wird beim Thema Digitalisierung und was macht der Wettbewerb?
  • Müssen wir einen Vorsprung des Wettbewerbs aufholen, wollen wir Vorreiter sein, wo ist der größte Handlungsbedarf?
  • Was sind die Ziele und Kernthemen der Digitalisierung und wie sind diese priorisiert?
  • Welche Veränderungen bedeutet das für unser Unternehmen?
  • Wann sind welche Meilensteine zu erreichen?
  • Was müssen wir einsetzen, um die Ziele zu erreichen: haben wir ausreichend qualifiziertes Personal, welche Investitionen sind nötig, welche Unterstützung durch das Management braucht das Projekt?
  • Welche Themen müssen ggf. rückpriorisiert werden, um die Digitalisierung voran zu treiben und ist das möglich?

So wird eindeutig definiert, was zu tun ist und abgesichert, dass nicht zu viel auf einmal angegangen wird.

In der Strategie sollten möglichst schon Ziele für die Umsetzung enthalten sein. Die Ziele sollten „vom Kunden aus“ definiert werden oder vom B2B-Partner.

Entsprechend dem Charakter der Digitalisierung – begrenzt oder umfassend, lässt sich auch die Strategie entsprechend wählen. So wäre ein Beginn der Digitalisierung in einem begrenzten Bereich möglich, der dann erweitert wird:

Digitalisieerungsstrategie

So könnte z.B. mit einer Funktionsdigita-lisierung begonnen werden und danach eine umfassende interne Digitalisierung angegangen werden oder eine umfassende Prozess- oder Produkt-Digitalisierung. Ein komplettes digitales Geschäftsmodell kann in einzelnen Fällen auf eine Prozess- oder Produktdigitalisierung aufgebaut werden. In der Regel ist hier allerdings ein komplettes Neudesign erforderlich.

2. Handlungsplan

In der Regel ist Digitalisierung nur schrittweise zu erreichen. Zu große Projekte sind von Beginn an gefährdet. Die Strategie liefert einen Rahmen und eine erste Priorisierung. Nun sind im zweiten Schritt die Maßnahmen zu definieren und in eine Reihenfolge zu bringen.

Digitalisierung stellt einen Veränderungsprozess für das Unternehmen dar. Hilfreich sind dafür schnell sichtbare Erfolge. Mehrere kleinere (Teil-)Projekte sind wenigen großen Projekten vorzuziehen. Wesentlich dabei ist der Masterplan für alle Projekte und eine übergreifende Koordination der Teilprojekte.

Der Handlungsplan umfasst auch die Beteiligten. Digitalisierung betrifft typischerweise mehrere Bereiche des Unternehmens. Von Beginn an sollte daher der Handlungsplan möglichst viele Bereiche beteiligen.

3. Umsetzung

Für die Umsetzung der Digitalisierung gilt:

  • Die Umsetzung der Digitalisierung ist ein Veränderungsprozess wie jeder andere!
  • Die Umsetzung der Digitalisierung unterscheidet sich deutlich von anderen Veränderungsprozessen!

Ein Widerspruch? Nein.

Auch bei der Umsetzung der Digitalisierung gilt:

  • Vorbildfunktion des Top-Managements, Verantwortung im Top-Management
  • Klare Ziele und klares Vorgehen
  • Umfangreiche Kommunikation
  • Unterstützung der Mitarbeiter*innen und Führungskräfte im Wandel.

Anders bei der Umsetzung einer umfassenderen Digitalisierung ist:

  • Produkte und Prozesse werden virtualisiert
  • Umfassende Digitalisierung ist in der Regel „end-to-end“ und ganzheitlich, d.h. umfasst das ganze Unternehmen bzw. das ganze Unternehmensmodell
  • Wesentliches Element ist die Vernetzung von Mitarbeitern, Kunden und Prozessen; das hat weitreichende Auswirkungen auf die operative Gestaltung des Unternehmens und auf das Denken und Handeln der Mitarbeiter*innen und Führungskräfte
  • Digitalisierung heißt Teilen von Daten und deren gemeinsame Nutzung – häufig ein Kulturbruch
  • Digitalisierung ist streng kundenorientiert, das ist der Sinn der Digitalisierung
  • Es gibt Themen, die immer Teil der Digitalisierung sind, z.B. der Datenschutz  und die IT-Sicherheit, die zwingende Notwendigkeit der Ausbildung der Mitarbeiter und ggf. der Einsatz von Experten, die Verfügbarkeit eines Mindest-Budgets
  • Digitalisierung ist in den Management-Prozessen zu verankern
  • Zumeist sind zugekaufte IT-Standardlösungen Eigenentwicklungen überlegen, was Auswirkungen auf die Prozessgestaltung hat
  • Umfassende und übergreifende Digitalisierung stellt also immer einen tiefgreifenden Wandel dar (um es neu-deutsch zu sagen: ist disruptiv).

Die Umsetzung umfasst 4 Handlungsfelder:

  • Die operative Erstellung, Detaillierung, Realisierung und Implementierung des neuen Unternehmensmodells
  • Die Vereinbarung der Kooperation entlang der digitalen Prozesse im Unternehmen und mit den externen Partnern, wie Lieferanten oder (B2B-)Kunden
  • Die Veränderung der Unternehmenskultur
  • Das Management des gesamten Veränderungsprozesses:
Digitalisierung im Mittelstand